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Kinder und Jugendliche gestalten Hungertuch für Kirche in Kirchhain

Den Altarraum der evangelischen Stadtkirche St. Marien ziert seit Aschermittwoch ein großes Hungertuch. Das farbenfrohe Kunstwerk haben Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Einrichtungen der Stadt Doberlug-Kirchhain unter Anleitung von Künstlerin Lena Braun geschaffen. 

Beim Betreten der Stadtkirche St. Marien in Doberlug-Kirchhain wird der Blick des Besuchers sofort von einem farbgewaltigen überdimensional großen Kunstwerk angezogen. Ein etwa sieben Mal sieben Meter großes Tuch verschließt den Altarraum. Mehrere Dutzend Kinder sind darauf zu sehen. Selbstporträts. Ihr Blick ist in die Ferne gerichtet. Die Hände umgreifen den Kopf oder den Mund, der sich zu einem Schrei öffnet. Die jungen Künstler und Künstlerinnen haben sich an dem berühmten expressionistischen Werk „Der Schrei“ von Edvard Munch orientiert. Was sich dem Besucher und der Besucherin mit diesem Gemeinschaftswerke einer etwa 30-köpfigen Gruppe von Kindern und Jugendlichen in der Kirche zeigt, ist das Ergebnis eines langen Projektes. Die Idee dazu hatte Pfarrer Frank Wendel. „Das sogenannte Hungertuch, das den Altar verhüllt, soll in der Passionszeit die Blickrichtung der Kirchenbesucher verändern. Weg von dem Schönen, hin zu den Dingen, die beschweren. Das waren in der Vergangenheit die traumatischen Erfahrungen der Geflüchteten, aber auch die Zeit der Coronapandemie, unter der insbesondere Kinder litten“, erläutert er die Idee. So war es sein Wunsch, dass geflüchtete und einheimische Kinder gemeinsam ein Kunstwerk gestalten. Mit der Zustimmung der Gemeindeleitung wurde die ortsansässige Künstlerin Lena Braun beauftragt, diesen Gedanken zu einem Projekt zu formen, an dessen Ende ein Hungertuch für die Kirchhainer Kirche steht. Die 60-Jährige entwickelte einen Fahrplan und eine Idee, von der sich Lehrer sowie Kinder aus der Erstaufnahmeeinrichtung, dem Schultz-Hencke-Heim und dem evangelischen Gymnasium in Doberlug-Kirchhain begeistern ließen. Mehrere Wochen lang wurde im Kultursaal der Erstaufnahmeeinrichtung fotografiert, projiziert und gemalt. „Die Kinder und Jugendlichen haben sich dabei selbst auf das Tuch projiziert. Dass sie in der richtigen Perspektive, Größe und Verhältnis zueinander zu sehen sind, war mitunter Knobelarbeit. Bei den Kindern habe ich bei all den Herausforderungen aber viel Freude und Befriedigung erleben können“, berichtet die Künstlerin. 

Dass die Besucher nun dieses großartige Kunstwerk in der Kirche in seiner ganzen Größe vorfinden, ist vielen weiteren Menschen zu verdanken. Wichtige Mitstreiter sieht Pfarrer Frank Wendel in Bernd Heinke von der Gemeindeleitung, aber auch in Veit Klaue von der Erstaufnahmeeinrichtung, jeweils mit eifrigen Mitstreitern im Hintergrund. Da war nicht nur der Bau der komplizierten Holzkonstruktion, die das schwere Tuch nun hält. Es war auch der eine oder andere Motivationsschub nötig. Die Coronapandemie hat es allen Beteiligten schwer gemacht. Seinen Dank richtet er auch ganz ausdrücklich an die Sparkasse Elbe-Elster und die Stiftung Kirche im Dorf sowie den stellvertretenden Bürgermeister Fred Richter. „Die Betrachter sind aufgefordert, sich mit den Leiderfahrungen der Kinder auseinanderzusetzen: Ich sehe auf dem Bild jetzt eben Kinder ‚schreien‘, in der Ukraine genauso wie in Syrien, Tschetschenien oder anderen Ländern, aus denen der Krieg die Menschen zu uns geführt hat. Von ihnen und für sie alle wurde das Bild gemalt“, resümiert Frank Wendel. 

Das Hungertuch ist bis Karfreitag, dem 15. April täglich zwischen 9 und18 Uhr in der offenen Kirche in Kirchhain zu besichtigen. In die Box am Ausgang können Spenden für die Unterstützung der Kriegsopfer in der Ukraine gegeben werden. Nach Ostern soll das Hungertuch verkauft werden. Interessenten können sich an die evangelische Kirchengemeinde Kirchhain wenden. 

Die Tradition des Hungertuches 

Das Fasten- oder Hungertuch hat den Zweck während der Fastenzeit in Kirchen die bildlichen Darstellungen Jesu zu verhüllen. Sein Ursprung liegt vermutlich im jüdischen Tempelvorhang, der im Neuen Testament im Zusammenhang mit dem Kreuzestod Jesu mehrfach erwähnt wird. Nachdem die reich bebilderten Stoffbahnen im 19. Jahrhundert fast völlig außer Gebrauch kamen, erleben sie seit einigen Jahren eine neue Renaissance. Kirchengemeinden verwenden das Hungertuch, um sich in der Fastenzeit und darüber hinaus mit drängenden Themen der sozialen Gerechtigkeit auseinanderzusetzen.