05.07.2024
Vom Leben hinter den Mauern einer Haftanstalt dringt in aller Regel wenig nach draußen. Auch die Arbeit von Seelsorgerinnen und Seelsorgern und ihren Partnerorganisationen in einem Gefägnis geschieht in großen Teilen unter dem Radar der Öffentlichkeit. Eine Momentaufnahme vom Sommerfest der JVA Luckau-Duben.
„Geh aus mein Herz und suche Freud …“ Der Gesang der Männer klingt überraschend voll und kräftig. Es ist Andacht in der JVA Luckau-Duben - Auftakt für das Sommerfest an einem Freitagnachmittag im Juni. Das Fest ist von den Mitarbeitenden der Gefängnisseelsorge vorbereitet worden. Mit etwa 40 Männern ist der Raum gut gefüllt. Alle sitzen an Tischen, die in U-Form aufgebaut sind. An der Wand hängt ein Kreuz, davor steht ein Altar, daneben ein Klavier. Pfarrer Frank Fechner von der evangelischen Kirche betet und singt mit den Gefangenen. Sein Kollege Thomas-Dieter Lehmann spricht über eine biblische Geschichte. Sie handelt vom Fiesling und Betrüger Zachäus, der von Jesus Beachtung und Respekt erfährt. Ein Text, der in eine JVA zu passen scheint. Uta Rohde ist als ehrenamtliche Musikerin dabei. Sie begleitet die Lieder auf dem Klavier.
Die Männer mit den Liedzetteln in der Hand sind wegen schwerer Gewaltverbrechen hier. Ihre Haftstrafen sind sehr lang. Viele von ihnen sind noch jung: trainierte Körper in Sportkleidung, auffällig akkurat geschnittene Frisuren und viele Tattoos. Einige hören zu, andere reden leise. Ob der Gottesdienst eine Abwechslung im Haftalltag, eine missliebige Pflicht vor dem Sommerfest oder im Wortsinn ein Gottesdienst ist, sieht man ihnen nicht an. Es spielt für die Seelsorger auch keine Rolle.
Zwischen den Männern sitzen einige Gäste von außerhalb, unter ihnen vier Ehrenamtliche von der Straffälligenhilfe der Caritas. Für einen Teil der Inhaftierten sind sie der einzige Draht nach „draußen“. Regelmäßig besuchen sie vor allem die Inhaftierten, die sozial isoliert sind und selten oder kaum Besuch bekommen. Rita* ist eine der Ehrenamtlichen. „Ich begleite eine Frau und einen Mann in der Haft. Wir bringen Abwechslung in die Monotonie der Haft. Meistens reden wir nur. Wir plaudern über alles Mögliche, über Gott und die Welt, aber auch über Persönliches. Einige haben ein sehr starkes Redebedürfnis. Man muss die Distanz wahren. Die Schicksale der Menschen dürfen nicht zu eigenen Sorgen werden. Manchmal spielen wir auch einfach Karten. Diese Arbeit erfüllt mich. Im Vergleich zu anderen Ehrenämtern scheint sie mir wirklich sinnvoll“, sagt sie. Nico Löben ist Sozialpädagoge und Leiter des Projektes „Ehrenamt in der Straffälligenhilfe“ bei der Caritas. Seine ehrenamtlich Mitarbeitenden sind in Cottbus, Spremberg und in Duben im Einsatz. „Hier in Duben werden gegenwärtig zwölf Inhaftierte verlässlich begleitet. Das ist eine gute Quote. Unsere Arbeit geht aber über die Haftbegleitung hinaus. Wir helfen auch bei der Wiedereingliederung und Resozialisierung“, berichtet er. Heute zum Sommerfest hat Nico Löben einen sogenannten „Menschenkicker“ mitgebracht. Das Spiel funktioniert wie Tischfußball, nur mit echten Spielern. Die Mannschaften stehen im Feld an Seilen. Wie beim Tischfußball bleiben während des Spiels alle Hände an diesen Seilen.
Vom Gottesdienstraum aus blickt man auf einen Innenhof mit begrünten und betonierten Flächen. An einigen Stellen haben Sommerblumen einen Weg durch die Fugen im Beton gefunden. Die Tischtennisplatten wirken verwaist. Hier geht das Fest in die nächste Runde. Das Wetter ist trübe, einige Regentropfen fallen vom Himmel. Das stört keinen. In den Grills glüht bereits die Kohle. Zwei Inhaftierte machen sich mit ihren Grillzangen an ihnen zu schaffen. Die einzige Aufregung: Für einen Moment ist nicht klar, welche Bratwürste die mit und welche die ohne Schweinefleisch sind. Bis die Sache geklärt ist, warten die anderen mit einer Portion Nudelsalat und einem Klecks Senf auf ihrem Pappteller brav in der Reihe. Das Sommerfestbuffet hält außerdem Vegetarisches, Obst, Brot und kühle alkoholfreie Getränke bereit. Die Stimmung ist gelöst. Aus einem CD-Player dröhnt „Gangnam Style“ von der CD-Sammlung „Party Hits 2012“. Die Männer finden sich in Gruppen zusammen. Gäste und die Seelsorger mischen sich unter die Leute. Die Ehrenamtlichen treffen auf ihre Schützlinge. Es wird geplaudert und rumgealbert. Ein paar Männer lassen sich später zum „Menschenkickern“ überreden. Ein Sommerfest wie es überall sein könnte, das fehlende Bier, die Stacheldrahtmauern und die Gruppe Justizvollzugsbeamter abseits mal ausgeblendet.
Unterdessen ist an den Fenstern eines Gebäudes, das den Innenhof bildet, reges Treiben zu beobachten. Immer wieder tauchen zwischen den Gittern Gesichter auf. Die Frauen, deren Hafträume sich in diesem Trakt befinden, beobachten mit Interesse, was unten passiert und was sie in wenigen Minuten selbst erwartet. Ihr Fest – das Fest der Frauen - beginnt nämlich dann, wenn die Party der Männer zu Ende ist. Schlag 17 Uhr ist Schluss für die Männer. Für die Frauen folgt der gleiche Ablauf: Andacht, Grillen, Plaudern und schließlich - mit größerer Begeisterung - das Kicken. Später dann gegen 19 Uhr herrscht wieder Stille auf dem Hof und im Andachtsraum. Der CD-Player schweigt. Die Grillkohle ist verglüht.
Für das Sommerfest und andere Ausreißer im immerwährenden Gleichtakt des Gefängnisalltags sorgen Frank Fechner und seine Kollegin von der katholischen Kirche, Gemeindereferentin Monika Polanski, gemeinsam mit Partnerorganisationen wie die Caritas oder das Blaue Kreuz. Ostern und Weihnachten gibt es ähnliche Veranstaltungen. Andere Höhepunkte werden von der JVA organisiert. Wer einen Antrag stellt, kann auch den sonntäglichen Gottesdienst besuchen. Frank Fechner und Monika Polanski sind aber nicht nur für Gottesdienste und Feste verantwortlich. Sie sind auch Seelsorger im Dienst ihrer jeweiligen Kirche. Ihr Status ist unabhängig. Die Gespräche mit ihnen sind vertraulich und werden nicht dokumentiert. Sie sind ein Auffangbecken für einen Überschuss an Gefühlen, der in den vielen Stunden des Alleinseins im Haftraum anwächst. So ähnlich beschreiben sie ihre Arbeit.
Die Haftanstalt Luckau-Duben wurde 2005 eröffnet. Sie ist das modernste Gefängnis in Brandenburg. Gegenwärtig sind 273 Menschen inhaftiert. Der offene Vollzug befindet sich in Spremberg. Hier sind 101 Gefangene untergebracht. Die Männer haben lange Strafen zu verbüßen. Die Mehrheit der Frauen ist wegen Vergehen hier, die im Zusammenhang mit Drogen stehen. Das Geländer der JVA wirkt wie eine Miniatur-Stadt mit Hafthäusern, Sportanlagen, Grün- und Freizeitflächen, einer Bibliothek, verschiedenen Betrieben wie eine Gärtnerei, eine Druckerei und einer Fensterfirma. Man kann Berufe lernen und ausüben, einigen Freizeitbeschäftigungen nachgehen. „Diese scheinbar heile Welt darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in ihr viel Leid, Angst und auch Gewalt gibt. Eine Haft ist eine existenzielle Erfahrung. Wir haben es hier mit Menschen zu tun, die in einer abgeschlagenen Gesellschaft leben. Unsere Aufgabe als Seelsorger ist es, die Inhaftierten darin zu unterstützen, sich mit ihrer Schuld auseinanderzusetzen und einen neuen Anfang zu wagen“, sagt Frank Fechner. Höhepunkte wie das Sommerfest sind ihm wichtig. Ein Recht auf Abwechslung habe jede und jeder.
*Der Name ist von der Redaktion geändert.
Franziska Dorn